Warum sind Gemeinschaften interessant für die Wissenschaft?
im Gespräch mit Anne Schwab
In meinem Podcast vom 14.04.2023 spreche ich mich mit Dr. Anne Schwab. Anne arbeitet an der Universität Vechta und forscht dort u.a. zu Gemeinschaften. Sie hat selbst im Lebensgarten Steyerberg gelebt und geforscht und wohnt derzeit in einer Gemeinschaft bei Kassel. Einen Teil des Intverviews befindet sich weiter unten in diesem Blog. Das komplette Transkript findet ihr hier…. Sind Gemeinschaften interessant für die Wissenschaft
———————–
Ökodörfer haben in den letzten Jahren zunehmend das Interesse der Wissenschaft geweckt. Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Disziplinen untersuchen die Ökologie und die soziale Dynamik von Ecovillages und wie sie zur Nachhaltigkeit beitragen können. Die Forschung zeigt, dass Ökodörfer dazu beitragen können, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität zu erreichen.
Verschiedene Studien zeigen zum Beispiel, dass Ökodörfer ein hohes Potenzial haben, ökonomisch stabil zu sein, da sie oft auf Selbstversorgung und lokale Wirtschaft setzen. Die Gemeinschaften können ihre eigenen Ressourcen nutzen und auf lokale Produkte und Dienstleistungen zurückgreifen, was auch die regionale Wirtschaft stärken kann.
Ökodörfer bieten auch eine alternative Lebensweise, die zu einem nachhaltigeren und erfüllteren Leben beitragen kann. Viele Menschen ziehen in Ecovillages, um der Hektik des modernen Lebens zu entfliehen und sich in einer Gemeinschaft zu engagieren, die ihre Werte teilt. Die Gemeinschaften bieten oft Raum für persönliches Wachstum, kreative Entfaltung und tiefere Beziehungen.
Insgesamt können Ökodörfer als Modell für eine nachhaltige Zukunft dienen. Durch die Verbindung von ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Stabilität zeigen sie, dass eine nachhaltige Lebensweise möglich ist. Die wissenschaftliche Forschung trägt dazu bei, unser Verständnis von Ecovillages und ihrer Bedeutung für eine nachhaltige Zukunft zu vertiefen.
Das folgende Interview ist ein Zusamschnitt des Gesprächs mit Dr. Anne Schwab von der Universität Vechta:
Den Podcast könnt ihr hier oder auf dem Podcast Player eurer Wahl hören.
Das komplette Transkript findet ihr hier…. Sind Gemeinschaften interessant für die Wissenschaft
Steffen: Heute habe ich das Vergnügen mit der Anne Schwab zu sprechen. Anne, du lebst in Gemeinschaft, du bist Wissenschaftlerin und forschst zu dem Thema Gemeinschaften.
Anne: Ja, ich forsche jetzt schon seit 2014 über Ökodörfer. Ich habe meine Doktorarbeit über den Lebensgarten Steierberg geschrieben. Ich arbeite aktuell an der Universität Fechter als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ökonomie der Nachhaltigkeit und habe auch noch andere Forschungsthemen. Allerdings ist das Forschungsthema über Ökodörfer und Gemeinschaften mein Herzensfeld.
Steffen:
Deine Dissertation hatte so einen lustigen Titel. Erinnere mich doch noch mal dran.
Anne: Ja, tatsächlich hat sie jetzt in der Veröffentlichung einen anderen Namen, da heißt sie nämlich Transformation im ländlichen Raum und meine Doktorarbeit an sich habe ich nackt ums Feuer genannt, einfach um diesen Vorurteilen auch einen Mund zu geben und das auch plakativ aufzubauen.
Steffen: Was ist denn das Innovative an Menschen, die in Gemeinschaften wohnen? Also warum ist das interessant?
Anne: Naja, also erstmal würde ich nicht sagen, dass Ökodorfbewohner an sich innovativ sind oder auch das Leben in einer intentionalen Gemeinschaft an sich innovativ ist.
Es ist erstmal eher das Gegenteil von innovativ, nämlich sehr traditionell oder vielleicht auch Rückverbunden. Das ist ja der Versuch, eigentlich wieder, naturnäher oder ursprünglicher in Gemeinschaftsverbänden zu leben. Und auch die Idee dahinter, dass durch diese Verbindung miteinander auch eine nähere Verbindung mit der Umwelt stattfindet, das finde ich, ist vielleicht gar nicht so innovativ. (…) Ob das gelingt, kann man sie jetzt diskutieren. Und ja, es wird ja in verschiedenen Arbeiten, unter anderem von Iris Kunze diskutiert, ob das soziale Innovationen sind. Und natürlich leben auch in Ökodörfern technikverbundene Menschen oder sehr innovativ, innovationsfreundliche Menschen, die gute Ideen haben und auch Technik nutzen, um nachhaltiger zu leben. Also was weiß ich nicht, E-Mobile-Sharing oder sowas in die Richtung. Und ja, aber ich finde so, der Innovationsbegriff, den muss man in dem Kontext auf jeden Fall erstmal definieren und sich fragen, was man darunter versteht. Und vielleicht würde ich behaupten, wird sogar eher das Gegenteil angestriebt, in Öko-Dörfern alles andere als besonders innovativ zu sein, sondern eher verbunden zu sein.
Steffen: Also als ich in Gemeinschaft gezogen bin, bin ich da nicht reingegangen, um besonders innovativ zu sein. Ich glaube, ich wollte was anders machen. Und das kann auch unter Umständen was eher Traditionelles sein, was jetzt nicht besonders innovativ ist. Aber zu sagen, hey, ich möchte gar nicht zum Beispiel mich dem modernen Konsum so stark aussetzen, wie das vielleicht der Durchschnitt der Gesellschaft macht. Ich möchte vielleicht auch gar nicht auf jedes digitale Medium aufspringen, sondern eher in, bestimmten Bereichen ein bisschen konservativer sein. Ich will vielleicht eher Gemüse essen, dass die Landwirte bei uns in der Region anbauen, als auf Gemüse aus aller Welt zurückgreifen. Das ist ja nicht per se innovativ, sondern das hat eher sowas mit – das ist jetzt zum Beispiel Das war meine Motivation, mit einem nachhaltigen Lebensstil zu arbeiten.
Haben denn Ökodörfer oder Menschen, die in Gemeinschaften wohnen, was anzubieten, was für die Gesellschaft an sich interessant ist, aus deiner Perspektive jetzt?
Anne: Ich würde gerne noch mal einen Schritt zurück. Also ich habe gerade eine Masterarbeit vorliegen zum Thema, sind Ökodörfer smart Villages? Und ich würde sagen, ganz sicher nicht. Weil in dieser, und da geht es ja um Innovation, in dieser Smart Village Idee oder der Digitalisierung auch des ländlichen Raumes ist ja inbegriffen, dass es eine gesamte Digitalisierung des, oder eine Digitalisierung des gesamten Lebens geht um Smart Homes, es geht um smarte Gemeinderäte, es geht um digitale Bildung, es geht alles darüber. Also das ist das, wenn wir über Innovation sprechen, was wir vielleicht auch als Innovation definieren würden. Und ich würde sagen, Ökodörfer haben genau den gegenteiligen Ansatz.
Die wollen eben eher ein naturverbundenes Leben, die wollen eher einen natürlichen Austausch haben, die wollen eine natürliche Landwirtschaft haben, sie wollen eben möglichst wenig Technologien oder, und dazu zähle ich auch Pestizide, sind auch Technologien, in ihren Gemüse haben und das eher mit der Hand machen oder mit dem Pferd, wie es zum Beispiel in eurer Gemeinschaft passiert oder in der Permakultur ist es ja auch eher so, eher so, dass fast alles mit der Hand geht. Das ist einzig das Gegenteil von dem, was wir innovativ und fortschrittlich nennen und geht wieder mehr auf den Menschen zurück, als der seine Arbeitskraft einbringt und auch dafür genutzt wird.
Steffen: Aber warum ist es für die Wissenschaft interessant, sich mit so einer Nischenbewegung wie Gemeinschaften und Ökodörfer auseinanderzusetzen?
Anne: Ja, das hast du gut gesagt mit der Nischenbewegung. Das wird uns Wissenschaftlern, die sich damit beschäftigen, auch immer wieder vorgeworfen, dass das eben eine Nische ist und dass das vielleicht auch gar nicht interessant genug ist.
Was ich interessant daran finde, ist der Versuch, in diesem Rahmen eine ganz andere Art von nachhaltiger Lebensweise aufzubauen und sich damit auch ein Stück weit einen geschützten Rahmen schaffen Und eben durch diese partizipative lokale Verwaltung ja auch eine eigene…
Also ich habe mich für diese politischen Prozesse am meisten interessiert, diese lokale Gestaltung und tatsächlich auch diesen Raum zu gestalten, in dem so etwas aufgebaut werden kann.
Und da stellt sich immer wieder diese Frage, gibt es überhaupt das Richtige im Falschen?
Kann es das überhaupt geben?
Und ich würde behaupten, dass Gemeinschaften auf jeden Fall der Versuch sind, etwas Richtiges im Falschen zu gestalten und eben in dieser Bewegung, also auch im Gen-Netzwerk, sich darüber zu verbinden und zu sagen, wir wollen eben nachhaltige Lebensweise auf der Erde zumindest probieren zu gestalten. Und da auch in Verbindung zu treten mit allen möglichen anderen Bewegungen, das finde ich, glaube ich, das, was wirklich spannend ist. Und damit auch groß zu sein und einen weltweiten Outreach zu haben durch dieses Netzwerk, was auch geschaffen wurde.
Steffen: Was glaubst du interessiert es auf so einer übergeordneten Ebene dieser Institutionen daran, so eine Forschung zu unterstützen? Also ich versuche immer noch so ein bisschen die gesellschaftliche Relevanz von so einer Forschung herauszufinden.
Anne: Also das ist ja auch für mich als ein Gemeinschaftsbewohner interessant zu wissen, okay, wen interessiert das eigentlich und was hat das vielleicht für einen Impact dann auch? Also man kann ja schon sagen, dass die Menschen zum Beispiel im Lebensgarten Steyerberg wirklich viel ausprobieren, wie nachhaltige Lebensweise funktionieren könnte. Und da gibt es ja sehr viele Experimente, die in den Gemeinschaften auch stattfinden.
Also sei das jetzt beim Lebensgarten die erste Solartankstelle oder auch schon ganz früh Solarzellen auf den Häusern oder E-Mobilität, E-Carsharing und solche Sachen.
Also ich finde, der Markus Andreas hat es in seiner Dissertation sehr schön ausgedrückt, dass vielleicht nicht alles nutzbar ist, was in Ökodörfern so entwickelt wird, aber als die Raumfahrt gestartet hat, dann wurden Teflonpfannen entwickelt aus den Bezügen, wie die Raketen beschichtet wurden.
Und also ich glaube, was eben für Forschungsförderer interessant sein könnte, sind genau diese Teflonpfannen.
Wie kann man einzelne Aspekte, die in Ökodörfern und internationalen Gemeinschaften experimentell praktiziert werden, auch für einen größeren Rahmen der Gesellschaft nutzen und nutzbar machen. Und also ich könnte mir vorstellen, dass gerade so diese Partizipation oder auch, gemeinschaftliche Organisationsstrukturen, in der zum Beispiel die Soziokratie ja auch eine wichtige Rolle einnimmt, dass sowas auch in anderen Kontexten durchaus als Teflonpfanne genutzt werden kann, wie in innovativen Unternehmen oder in anderen Bereichen.
Ich glaube, was wir Forscher sowohl für die Ökodörfer als auch für die Gesellschaft tun können, ist genau diese Teflonpfannen auszuarbeiten und zu zeigen und zur Verfügung zu stellen.
Steffen: Wenn ich mich jetzt als Normalsterblicher für solche Forschungsergebnisse interessiere, ich werde damit ja nicht unbedingt in den Mainstream-Medien konfrontiert, also jetzt mit dem, was in der Wissenschaft passiert. Wie könnte ich da rankommen?
Anne:
Ja, da sind wir gerade dabei. Das ist vielleicht jetzt eine Frage, die so ein bisschen weiterführt.
Wir sind gerade dabei, auch einen Forschungsverbund zu gründen, beziehungsweise haben wir das schon vor Jahren, eine, das nennt sich Gen Research Group, in der Forscherinnen zum Thema Ökodörfer zusammenkommen und unter anderem richten wir da gerade eine Datenbank ein, in der eben sämtliche Forschungen rund um das Thema Gemeinschaften und Ökodörfer gesammelt werden. Wir sind aktuell aber auch schon dabei, eine Art Special Issue in einem Journal von Springer zu gestalten und da haben.
Wir haben jetzt schon einige Arbeiten, wo auch Masterstudierende wiederum aus ihrer Masterarbeit noch mal einen Artikel geschrieben haben, veröffentlicht haben oder im Veröffentlichungsprozess sind.
Steffen: Gibt es auch die Möglichkeit, dass wenn wir Fragestellungen haben, und das sage ich jetzt, dass wir aus der Perspektive von einem Gemeinschaftsbewohner, dass wir sagen, hey… Also uns würde ja schon mal eine Analyse über unseren ökologischen Fußabdruck interessieren oder über innovatives Potenzial, das wir haben oder unsere Auswirkungen auf die Region oder so was, dass wir sagen, hey, wir haben hier ein paar spannende Fragestellungen.
Wir kommen auf dich zu oder auf jemanden anders, den du uns empfehlen kannst und sagen, hey, das wäre doch mal eine Frage für ein wissenschaftliches Forschungsprojekt oder für eine Masterarbeit.
Ja, das bauen wir gerade aus. Also innerhalb dieses Projekts, das nennt sich Region4All, ist ein Erasmus-Plus-Projekt, und das soll ja eben weitergehen, es soll ein Forschungsinstitut für Ökodorfforschung
Anne: Forscherinnen in jedem Stadium können sich an uns wenden und kriegen die Gelegenheit, ihre Masterarbeit zu präsentieren und da auch Rückmeldung zu bekommen oder ihr aktuelles Paper an den sie schreiben. Da unterstützen wir schon eine Community of Practice von bestimmt 20 bis 40 Leuten weltweit, also von Australien bis Schweden, nehmen da Forscherinnen teil. Wir gucken immer so ein bisschen, dass es zeitlich passt, je nachdem, wenn auch australische Forscherinnen präsentieren wollen.
Steffen: herzlichen Dank, Anne.